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Unehrliches Geld

Das was ich berichten möchte, hat eine Vorgeschichte, die im Februar 1957 begann. Ich hatte zu dieser Zeit gerade die Zwanzig überschritten und meinen Sohn, unser erstes Kind, entbunden. Ein Zweibettzimmer auf der Entbindungsstation des Krankenhauses teilte ich mit einer jungen Frau, die ich um die dreißig Jahre schätzte und die ihr drittes Kind, ein Mädchen, bekommen hatte. Wir waren glückliche Mütter.

Sicher führte auch das gemeinsame Erleben der Mutterschaft dazu, dass sich auf beiden Seiten Sympathien entwickelten. Wir sprachen viel miteinander, schmiedeten Zukunftspläne für unsere Kinder, hatten viel Spaß und freuten uns gemeinsam an unseren neuen Erdenbürgern.

So wie wir uns näher kamen, wurden auch die Inhalte unserer Gespräche persönlicher und wir erzählten uns auch familiäre Dinge. Großes Erstaunen auf meiner Seite, als ich hörte, was für einen Lebensstandard diese Familie hatte und welche Anschaffungen sie sich leisten konnte. Das Kinderzimmer für das Neugeborene hatte sie mit ihrem Mann schon auf das Feinste eingerichtet. Das Haus, in dem sie wohnten, war gekauft worden, und auch einen Wartburg nannten sie ihr eigen, selbstverständlich mit Garage, dazu die kleinen Dinge, die das Leben verschönern und die eine junge Frau sich wünscht. Die letzte Anschaffung wären Messingtürklinken gewesen. Bei mir kam die Frage auf, wie kommt man an solche Dinge, die es in unserem gespaltenen Land und der zweigeteilten Stadt Berlin nur auf der anderen Seite der Grenze gab. Für mich waren es damals Sachen, an die ich nicht einmal dachte und die ich noch viel weniger erwerben konnte.

Ingrid N war, wie sie berichtete, nicht berufstätig, sondern Hausfrau und versorgte die Kinder. Ihr Mann, das ging aus ihren Worten hervor, hatte eine gute Stellung. Auch mein Mann und ich waren berufstätig und bezogen gute Gehälter, konnten uns jedoch nicht so große und teure Anschaffungen leisten. Wirtschafteten wir vielleicht nicht richtig? Das beschäftigte mich ganz schön.

Nach einer Woche trennten sich unsere Wege. Jede ging mit ihrem ren Kind und dem gegenseitigen Versprechen, uns zu besuchen. in ihr Zuhause zurück. Es blieb bei dem Versprechen, da wir in auseinanderliegenden Orten wohnten.

Einige Zeit später las ich in der Zeitung einen Bericht über ein Gerichtsverhandlung. Eine junge Frau war dabei erwischt worden, wie sie mit ihrem Kind im Kinderwagen unter der Matratze versteckt Fleisch, Wurstwaren, Butter und Eier über die Sektorengrenze von Ost- nach Westberlin schmuggeln wollte, um die Lebensmittel dort gegen "Westgeld" zu verkaufen. Im Laufe der gerichtlichen Untersuchungen stellte sich heraus, dass die Angeklagte diese verbotenen Schwarzgeschäfte schon mehrere Jahre betrieb. Zu jener Zeit wurden nämlich in der DDR (Deutsche Demokratische Republik) Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs vom Staat sehr stark gestützt, also subventioniert, und waren daher sehr preiswert zu erwerben. Für Einwohner Ostberlins und auch für Bewohner Brandenburgs war es kein Problem, in der geteilten Stadt für 20 Pfennig mit der U-Bahn oder S-Bahn von Ost nach West zu fahren.

So hatte Ingrid N so hieß die Angeklagte, und sie war beileibe kein Einzelfall, die zum Verschieben gedachte Ware billig im Osten aufgekauft, um sie im Westteil der Stadt etwas preiswerter, als es die dortigen Ladenpreise waren, an Privatabnehmer natürlich gegen Westmark zu veräußern. Wenn sie sich von dem so erworbenen Geld in Westberlin nichts kaufen wollte, wechselte sie den Erlös in einer der westlichen Wechselstuben in Ostmark um. Für eine Westmark bekam man meist vier Mark Ost oder auch mehr, je nach dem, wie der Wechselkurs gerade stand. Es war, wie schon angedeutet, nicht nur für Ingrid N ein einträgliches Geschäft, das mehr Geld als ehrliche Arbeit einbrachte, es gab zu dieser Zeit ja organisierte Schieberringe, die von diesem illegalen Warenexport profitierten.

Fischessen bei J. - oder Das Forellenduett

Seitdem mein Mann nur noch stundenweise arbeiten geht und ich dreimal in der Woche am Nachmittag auch nicht zu Hause bin, haben wir es so eingerichtet, dass auch mein Mann in Abwechslung mit mir das Kochen des Mittagessens übernimmt. Er kocht auch sehr schmackhaft und gut. Na ja, trotzdem stehe ich dann aber doch meistens am Kochherd.

Beim letzten Einkauf hatte ich mir zwei wunderschöne Regenbogenforellen, tiefgefroren, mitgebracht. Heute sollten sie in die Pfanne.

Wenn ich Fisch zubereite, muss es immer so sein wie Weihnachten mit den Geschenken.Der Fisch darf erst sichtbar werden, wenn er auf dem Tisch steht.

Die eine Forelle, sie muss eine männliche gewesen sein, der Blick alleine -wie sie mich so anschaute - nein. In die Pfanne wollte dieser Bursche mit dem kleinen Silberblick auch nicht. Dreimal sprang er mir aus der Hand und rutschte bäuchlings durch die Küche. Dieser Schreck, ich durfte doch nicht aufjuchzen, denn dann hätte mein Mann auf der Schwelle gestanden.

Warum ich das verhindern wollte?

Fisch mit Gräten ist ihm ein Gräuel Nein - wie kann man nur!

Ich präparierte auch noch das Fräulein Forelle und legte beide Fische in die Pfanne. Gemeinsam garten sie nun.

In Ermangelung von Zitronenscheiben für die Garnierung bei der Zubereitung der Fische hatte ich Zitronensaft aus einer kleinen gelben Flasche benutzt und legte eine schöne gelbe Ananasscheibe und Kräuterbutter auf die Mitte der Forellen.

Als alles fertig war, lud ich meinen Mann zum Essen ein und erwartete seinen Auftritt.Ich hatte ihm das Fräulein Forelle zukommen lassen, weibliche Wesen sind manchmal anschmiegsamer.

Wie gesagt, er kam, sah den Fisch und sein scharfes Auge erblickte die Scheibe Ananas und mon ierte sofort. "Ananas passt überhaupt nicht', eröffnete er den Dialog mit mir. "Weiß ich", antwortete ich, "sieht aber besser aus!"

Hast du schon einmal dein Gegenüber beim Essen beobachtet, wenn es ihm nicht schmeckt, er dir aber mit dummen Bemerkungen nicht weh tun will? Ein Gesicht wie Zahnschmerzen! Ich konnte direkt seine Gedanken lesen.

"Da gibt es doch diese goldenen Fischstäbchen. Mit diesen Dingern besiegen doch Seemänner sogar kampflos Piraten, jedenfalls in der TV-Werbung. Warum muss meine Frau ausgerechnet Fisch mit Gräten machen?"

Eigentlich hätte ich antworten können: "Die Dinger mag ich nicht, weil dort viel Panade drum, aber wenig drin ist." Doch ich hielt mich zurück.

Ich aß meine Forelle mit dem größten Genuss und versuchte so unauffällig wie möglich meinen Mann weiter zu beobachten. Auch er stocherte sich unter der schönen knusprigen braunen Haut das weiße zarte Fleisch hervor.

Plötzlich geschah es, er hatte eine Gräte mitgefasst. Ruckartig fiel die Gabel auf den Teller und zwei spitze Finger fuhren wie ein Blitz zum Mund. "Jetzt hat sie es geschafft, es kann mein Leben kosten, wenn ich dieses Ungeheuer von Gräte nicht zu fassen bekomme", konnte ich von seinem Gesicht ablesen, "will meine Frau mich umbringen? Wie genüsslich sie ihre Forelle verspeist! Sie hat sich bestimmt eine ohne Gräten auf den Teller gelegt! Wenn ich hier noch mal lebendig vom Tisch wegkomme oder gesund aus dem Krankenhaus, dann räche ich mich!"

An seinem Gesichtsausdruck sah ich es. Er schmiedete Mordpläne. "Ob ich im Sommer die ersten Pilze mit einem kleinen Knollenblätterpilz verarbeite", schien es hinter seiner Stirn zu arbeiten, "aber was ist, wenn sie dann aus versehen die Teller vertauscht!" Ich schaute etwas belustigt bei seinem Kampf mit dem Fisch zu. Dann aber tat er mir doch leid, ja ich ängstigte mich ein wenig um ihn, als ich sein gequältes Gesicht sah.

"Schmeckt dir, mein lieber Mann, mein Essen nicht?", fragte ich vorsichtig. "Ja, sehr gut", kam es süßsauer zurück. Da ließ ich meinen Mann nicht länger in seinen Racheplänen zappeln. Fast vierzig Jahre schmiedet er diese nun schon, wenn es Fisch gibt. Ein kurzer Griff, ich nahm seinen Teller. Die Forelle auseinandergelegt, die Mittelgräte an ihrem Ende angefasst und mit allen Seitenabzweigen herausgezogen. Ein dankbarer Blick von Fräulein Forelle und meinem Mann waren mir Lohn.Warum nicht gleich so?

Das wäre nur der halbe Spaß und der halbe Genuss beim Fisch

Technischer Fortschritt ist gut, aber...

Kopfschüttelnd stand er vor der Briefkastenanlage des Hochhauses. Sein Gesicht drückte Enttäuschung aus. Er hielt eine Tageszeitung in der Hand, die er seinem Briefkasten entnommen hatte.

Meinen Morgengruß erwidernd fing er gleich zu erzählen an: "Keinen Brief, keine Karte habe ich zu meinem gestrigen dreiundachtzigsten Geburtstag erhalten, aber ganz viele Anrufe." Nach einer kurzen Pause setzte er das Gespräch fort: ..Früher, ich denke an die Zeit vor der Wende. hatte zwar nicht jeder einen Telefonanschluss. Das war aber sicher auch die Ursache dafür, dass mehr Glückwunschkarten und Briefe zu den Geburtstagen geschrieben und verschickt wurden. Aber jetzt? Na ja, alles hat seine Vor- und Nachteile." Traurig ging der alte Herr ins Hochhaus, wahrscheinlich in sein Alleinsein zurück.

Die kurze Unterhaltung stimmte mich nachdenklich. Am Nachmittag, mit einem hübschen Sommerblumenstrauß bewaffnet, klingelte ich an seiner Wohnungstür, um nachträglich meine Glückwünsche zu überbringen. Diese Überraschung war mir sichtlich gelungen. Offenbar erfreut, einen Gesprächspartner gefunden zu haben, erzählte er mir bei einer Tasse Kaffee von seinem Geburtstag: "Ich hatte mich sorgfältig vorbereitet, da ich wusste, dass mein ehemaliger Betriebsdirektor und einige Kollegen von früher kommen wollten. Tochter und Enkeltochter hatten für diesen Besuch extra ein kleines leckeres Büffet vorbereitet. Die ganze Familie wollte erst am Nachmittag kommen. Nun wollte ich, so hatte ich es mir vorgestellt, meinen ehemaligen Kollegen am Vormittag von meiner Kanadareise im vorigem Jahr erzählen und Bilder zeigen. Ich hatte nämlich nach dem Tode meiner Frau vor zwei Jahren meinen Garten verkauft und mir von dem Erlös eine wunderschöne Reise durch Kanada geleistet. Davon wollte ich meinen Gästen berichten.

Doch es kam alles anders. Die Erwarteten trafen auch pünktlich ein. Freudige Begrüßung auf beiden Seiten. Und dann? Und dann klingelte andauernd das Telefon und hörte nicht mehr auf. Freunde, die nicht kommen konnten, ehemalige Kollegen und viele Bekannte meldeten sich, um mir telefonisch Glück zu wünschen. Jede begonnene Unterhaltung wurde durch die Anrufe unterbrochen. So verging der Vormittag, ohne dass ich von meiner Reise und den mir unvergesslichen Erlebnissen erzählen konnte. Deshalb meine Enttäuschung. Hätte mir jeder der Anrufer eine Karte oder einen Brief mit Glückwünschen geschickt, hätte ich nach meinem Geburtstag auch noch Freude gehabt."

Und dann kam der alte Herr doch noch dazu, wenigstens in mir für seine Reiseeindrücke einen guten Zuhörer gefunden zu haben. In Kanadas Hauptstadt Ottawa war er gewesen. Ausflüge führten ihn nach Montreal und Quebec. Er sah die großen Waldgebiete. Selbstverständlich musste ich mir die gemachten Fotos ansehen, so auch die von den gewaltigen Wasserfällen, den Niagarafällen an der Grenze zur USA.

Die Freude, nun doch noch jemandem von seiner Reise erzählen zu können, war nicht zu übersehen.

Beim Abschied sagte er zu mir, an seine Geburtstagserlebnisse denkend: "in Zukunft werde ich es mir auch überlegen, ob ich zu Geburts und Festtagen anrufe oder doch lieber einen Glückwunsch schreibe und abschicke."

Auch für mich, die ich zu solchen Anlässen gerne zum Telefonhörer greife, nicht weil ich zum Schreiben zu bequem bin, sondern denke, dass das gesprochene Wort mehr erfreut, war dieses Gespräch mit meinem Nachbarn ein Anstoß zum Nachdenken. Löst vielleicht eine Glückwunschkarte oder ein lieber Brief doch mehr Freude als ein Telefonat aus?




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