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Hilde, eine deutsch-französische Liebesgeschichte

Paris! 17.25 Uhr startet das Flugzeug dorthin. Die reservierten Plätze sind ein Geschenk der Tochter. - Paris - Hilde, frisch frisiert, blondiert, schlank, schick eingekleidet, 58 Jahre alt, lehnt sich im Sessel zurück. Fliegen - sie schließt die Augen und läßt sich fallen. Ihre Gedanken gehen ein halbes Jahrhundert zurück.

In der Hand hält sie ein abgegriffenes Foto. Ein kleines Mädchen mit langen dicken Zöpfen ist darauf zu sehen, ungefähr fünf Jahre alt.

In jener Zeit, nach dem furchtbaren Krieg, glaubte das kleine Mädchen ganz fest daran, daß ihr Papa, der weit weg ist - in Frankreich, sagt die Mutter - bald nach Hause kommen würde. Wenn die Mutter traurig war, umarmte sie sie oft und flüsterte liebevoll: "Papa kommt bald wieder." Morgens beim Gang in den Kindergarten und zu Hause am Fenster hinter der Gardine, immer hielt sie Ausschau. Mutter und die drei großen Geschwister belächelten sie, obwohl auch sie sich nichts sehnlicher als die Heimkehr des Vaters wünschten. Nur der kleinere Bruder hörte Hilde gern zu, hatte er doch seinen Vater durch den Krieg nie kennen gelernt.

Eines morgens saß ein Mann in der Küche. Der kleine Bruder hatte es sich auf dessen Knien bequem gemacht. Ein Mann, nicht gekleidet wie die Heimkehrer aus dem Krieg, denen Hilde auf der Straße schon begegnet war, ungepflegt, unrasiert und in alter Soldatenuniform. Trotzdem - ein Gedankenblitz ging durch den kleinen Mädchenkopf - das ist mein Papa! Ermunternd sahen der Mann und die Mutter ihr zu. Etwas verschämt und zögernd ging sie zu ihm. Er bog sich herab und das kleine Mädchen legte ihre Ärmchen um seinen Hals. "Mein Hildchen" hörte sie die dunkle Stimme des Vaters. - Spontan rannte sie zur Mutter, schmiegte sich an sie und flüsterte zärtlich: 1ch hab' doch gesagt, Papa kommt bald nach Hause."

Die herunterlaufenden Tränen der Mutter trocknete sie mit ihrem Jackenärmel ab. Sie dachte, jetzt wird alles gut. Mutter ging in den nächsten Tagen nicht arbeiten, und Hilde brauchte nicht in den Kindergarten. Der Vater, viel beschäftigt, war ständig begleitet von Hildchen. Wenn sie durch den Wohnort gingen, schob Hilde ihr Händchen in die große Hand des Vaters, schaute stolz in die Gegend und hielt sich fest. Sie suchte und brauchte Geborgenheit, alle Leute sollten ihr Glück sehen. In der langen Zeit der Träume hatte sie sich vorgestellt, zu Vaters Begrüßung wird ein Fest gefeiert. Es gab kein Fest! Die Mutter sah auch nicht fröhlich aus und die größeren Geschwister zogen sich meist gleich nach der Schule zurück. Sie alle wußten mehr. Hilde dachte, sollen sie doch gehen, ich bleibe beim Vater.

Nach einer Woche saß die Mutter morgens allein in der Küche am Tisch. Den Kopf in die Hände gestützt, versuchte sie der Tochter beizubringen, daß der Papa diesmal für immer weit weggefahren ist. Hilde begriff es nicht, sie wollte es nicht wahrhaben.

Die Zeit ging ins Land, Hilde und ihre Geschwister mußten ohne Vater aufwachsen. Die Mutter arbeitete schwer und zog ihre Kinder allein groß. Ihr Mann, Vater ihrer fünf Kinder, hatte sich der Verantwortung entzogen und ging zurück nach Frankreich zu der anderen Frau. In Deutschland klärte er nur die rechtlichen Fragen. Seine neue Frau hatte ihn im Krieg, als er aus der Wehrmacht desertierte, versteckt und ernährt. Oder ist er damals wegen dieser Frau geflohen? Hilde weiß es nicht. Die Gefahr, auch erschossen zu werden, wenn der Soldat entdeckt würde, hatte sie auf sich genommen. Es muß wohl eine große Liebe in den Wirren des Krieges gewesen sein.

Hilde mußte mit 14 Jahren "in Stellung" zum Bauern. Später heiratete sie und schenkte zwei Mädchen das Leben. Heute ist sie schon lange Großmutter.

Vor einigen Jahren begann einer ihrer Brüder die Suche nach dem Vater. Er fand die Familie. Es brauchte viel Zeit, bis sich die französischen Kinder aus zweiter Ehe des Vaters mit ihren deutschen Halbgeschwistern trafen. Alle waren längst erwachsen, mit eigenen Familien. Der Vater konnte dieses Zusammentreffen nicht mehr erleben, ebenso die Mutter von Hilde, die schon vor langer Zeit, als die Kinder aus dem Haus waren, für immer eingeschlafen ist. Bei dem Zusammentreffen gab es nur eine Schwierigkeit, die Sprache. Aber unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen klappte die Verständigung.

Die Frau, die Hilde und ihren Geschwistern den Vater und der Mutter den Mann genommen hatte, als alle ihn am meisten brauchten, sie hatte nun nach Paris eingeladen.

Hilde dachte, daß alles Leid mit den Jahren schon verziehen sein wird. Wie sie so in Gedanken dasaß, hielt sie das Bild mit dem kleinen Mädchen noch immer in der Hand. Dieses Bild begleitete den Vater sein Leben lang, so sagten seine französischen Kinder. -Ihr Bild!

Nein, sie konnte und wollte dieser Frau noch nicht begegnen. Es war kein Haß, aber sie brauchte einfach noch Zeit, um so ein Treffen in Paris mit der Frau ihres Vaters, seiner großen Liebe, zu verarbeiten.

Plötzlich ging das Licht an - Hildes Mann stand in der Tür. Sie saß im Wohnzimmer im Sessel, noch gekleidet für die große Reise nach Paris. - Vor Stunden, am Flughafen angekommen, sagte Hilde fest entschlossen: "Bitte zurück nach Hause", und ihr Mann fuhr zurück. Jetzt legte er sanft eine dunkelrote Rose auf ihren Schoß. Er streichelte über Hildes Kopf, zerzauste leicht die schöne Frisur und sagte: "Er wird alles gut, nächstes Jahr in Paris".

(März 1998)

Walzer in Turnschuhen

Wie so häufig gab es Besuch: Mariechen, so nenne ich mitunter meine Enkeltochter, erfreute mich mit ihrer Gegenwart. Beschwingte Melodien erklangen aus dem Radio.

Ich unterbrach meine Hausarbeit und forderte meinen Gast zum Walzer auf. Eine Gelegenheit, so dachte ich, ihr den Walzerschritt beizubringen.

"Aber Oma! Nach solch einer Musik wird doch heute nicht mehr bei uns getanzt." tönte es aus dem spöttischen Mund. Für mich jedoch ließ sie sich herbei. Wir drehten uns im Schritt, eins, zwei, drei, und nach kurzer Zeit merkte ich, sie tat es nicht ungeschickt und nicht nur mir zuliebe.

Einige Wochen später, nach einer Familienfeier, erzählte sie sichtlich enttäuscht: "Mich hat niemand zum Walzer aufgefordert. Sicher dachten alle, das kann ich nicht. Dabei hätte ich doch Spaß gehabt."

Wieder verging Zeit. Mariechen stand mit ihrem Freund, einem von mir mit Vorbehalt betrachteten sehr jungen hoffnungsvollen Mann, vor der Tür. "Oma, komm wir zeigen ihm, daß ich Walzer tanzen kann. Er glaubt es nicht." Was sollte ich machen. Gesagt - getan. Vor vier Wochen den Fuß gebrochen, noch in einer Schiene, dennoch versuchte ich es. Diesmal lagen die Dinge anders, ich drehte mich meiner Enkelin zuliebe. Gewiß kein Bild für die Götter, doch es klappte. Mir war klar, ich diente als Mittel zum Zweck. Unser Schwung und die eingängigen Melodien sprangen auf den Walzertänzer in spe über. Es packte ihn; sie brauchte nicht lange zu bitten.

Noch etwas unbeholfen standen sie sich erst gegenüber. Wer umfaßt wen und wo? Dann jedoch leichtfüßig wie zwei Jungelefanten und angestrengt auf die Füße schauend, bewegten sie sich langsam nach den ersten Takten durch das Wohnzimmer. Es dauerte nur kurze Zeit, und die beiden 15- und 17jährigen Teenies, so nennt man sie ja wohl heute neudeutsch, tanzten in Turnschuhen und Jeans im Dreivierteltakt zum Walzer von Johann Strauß, gespielt von Omas Lieblingsdirigenten André Rieu.

Mich vergaßen sie. Ganz leise nur hörte ich den soeben erweckten Walzertänzer flüstern: "Müßte nie aufhören, dieser Tanz." Sogenannte geile Techno-Musik, flockige Reden, äußerst lockere Kleidung und Turnschuhe, hektische Tänze und überlaute Rockgruppen, sie bestimmen ihre Freizeit. In einem Alter, in dem sie sowohl erwachsen, aber auch noch Kind sein möchten, nehmen sie nur allzu gern das Umsorgen in Kauf, hätten möglichst dazu aber auch viele Freiheiten. Nur nicht so spießig werden wie die Eltern oder gar die Großeltern. Na, hoppla!

So sind sie, unsere Enkeltöchter und -söhne. Sind sie wirklich so? Diese beiden im Walzerrausch - wer sagt da noch, das sei altmodisch? Ein Erlebnisbild, das bei jeder Walzermelodie wieder vor meinen Augen erscheint, wie ein Geschenk.

Großmutter sein - es ist schön. (Juni 1998)

Danke

Mein Verhältnis zur sogenannten "ernsten Musik", das Wissen um sie, war nie besonders ausgeprägt. Ich liebte, was mir gefiel. Beethovens 9. Sinfonie zum Jahresausklang, das war der Höhepunkt, und dazwischen immer mal wieder Verdi, Händel und Mozart. Allerdings hatten Schlager und die Musik der Liedermacher den Vorrang.

Es sind jetzt zwei Jahre her. Ich stand vor einer schwierigen Operation. Ein wohlmeinender Arzt hatte mir geraten, alles zu tun, um mich dafür und für die Zeit danach körperlich zu kräftigen. So lief ich, wenn es nur ging und ich konnte, im Innenhof des Krankenhauses immer meine ungefähr 20 Runden. Eine Freundin hatte mir zur emotionalen Unterstützung eine selbst aufgenommene Musikkassette von Beethoven geschenkt. Also nahm ich, bevor sie mich am Nachmittag besuchen und sicher auch meine Meinung dazu hören wollte, diese Kassette mit in den Hof,

Kopfhörer auf, so spazierte ich mit dem Violinkonzert von Beethoven, gespielt von David Oistrach, im Ohr, meine mich ständig begleitende Angst vor kommenden Ereignissen im Nacken, in die erste meiner 20 Hofrunden.

Einzig eine Amsel leistete mir an diesem naßkalten Februarnachmittag, auf einem vollkommen kahlen Baum sitzend, Gesellschaft. Langsam, ganz langsam, geriet ich in die Stimmung dieser Musik, sie sog mich förmlich auf. Wie viele Runden ich an diesem Tag lief, wußte ich hinterher nicht mehr. Ich durchlebte alle Angst dieser Zeit. Immer wenn ich dachte, ich müßte die Angst aus mir herausschreien, fing mich David Oistrach mit seiner Violine behutsam auf. Ich weinte. So ergriffen hatte mich bisher noch keine Musik. Sie schüttelte mich zwischen verzweifeln und hoffen hin und her, stürzte mich in Höhen und Tiefen und besänftigte mich dann wieder wie eine körperliche Berührung. Jetzt wußte ich, daß alles gut werden wird. Ich sah in dieser tristen Umgebung schöne Dinge: die kleinen Knospen an den Bäumen, die gefrorenen Grashalme am Boden, unter denen zartes Grün den Frühling anmeldete.

Heute weiß ich, Beethoven hat nur dieses eine Violinkonzert geschrieben. Manchmal denke ich, er hat es für mich getan. Ihm und David Oistrach, der es zum Klingen brachte, DANKE!

(Januar1997)

Beobachteter Kundendienst

Immer wieder ein schöner Anblick, die Kastanienbäume im Frühling. Erst die kahlen knorrigen Bäume mit den klebrig glänzenden, aufbrechenden Knospen und daraus hervorkommenden lindgrünen Blättchen. Es ist in jedem Jahr eine Freude, diesem Wunder zuzusehen, bis die Zweige ihre großen Kerzen aufstecken und den Frühling anzeigen.

Nicht weniger Freude bereiten uns diese Bäume nun im Herbst, wenn die kleinen stacheligen Früchte herunterfallen, platzen und ihre polierten schokoladenbraunen Kastanien freigeben. Am liebsten möchte man alle aufheben, wie in den Kindertagen. An einem solchen Tag öffnete sich die Tür des kleinen Lebensmittelladens auf der anderen Straßenseite und heraus trat ein seltsames Paar. Der große stattliche Geschäftsführer, in den sogenannten besten Jahren, und eine hochbetagte, äußerst schlicht gekleidete Frau, der er seinen rechten Arm bot. Mit der linken Hand trug er einen vollbepackten Einkaufskorb. Sie in der rechten Hand einen Stock, mit dem sie sich stützen konnte. Sie überquerten gemeinsam die Straße.

Unsere Wege und Blicke kreuzten sich. Ich dachte, nun wird dieser Mann seinen Service beenden und der alten Frau ihren Korb mit den gekauften Waren übergeben. Weit gefehlt! Sie setzten sich weiter in Gang. Allerdings nutzte sie, die Kundin, die kurze Pause, um sich umzudrehen und zu schauen, ob auch andere Passanten sie an der Seite ihres Begleiters sehen konnten. Mit einem Lächeln schätzte sie meine Einkäufe ab und genoß besonders ihre Begleitung.

Angekommen, blieben die beiden stehen, bevor sie das Haus betraten, und ich befürchtete beinahe, sie steckt mir die Zunge raus, so schelmisch-triumphierend war ihr Blick. Wo gibt es so einen Kundendienst in der heutigen Zeit überhaupt noch, fragte ich mich angesichts dieser Begegnung? Ich stellte mir diese alte Dame in einem Supermarkt vor - verloren, überfordert und ohne Hilfe. Sie würde wieder in ihr vielleicht tristes Alleinsein zurückkehren, ohne ein paar nette Worte gewechselt zu haben. Eigentlich eine Begebenheit, für manch einen nicht der Rede wert. Jedoch es ist eine seltene Wirklichkeit. So geschehen vor einiger Zeit, beobachtet in der Kastanienallee in Potsdam-West.

Was verbindet mich mit einer guten Fee

Situationen, für mich nicht mehr beherrschbar, die sich doch noch zum Guten wenden, haben etwas besonderes, und ich denke dann immer, hier war eine gute Fee mit im Spiel.

Zum Beispiel machte uns die Erziehung unseres behinderten Sohnes, erkrankt an Kinderlähmung, zu einem einigermaßen selbstständigen Menschen viel Sorge. Wir waren als Eltern noch sehrjung und hatten keine Erfahrung.

Bei einem unserer wöchentlichen Besuche in der Heilstätte, in der unser Sohn auch die Schule besuchte, sagte ich zu ihm als Ansporn: "Wenn du alleine in den Zug ein- und aussteigen kannst, darfst du jedes Wochenende allein nach Hause kommen." Da kam eine gute Fee, die Fee des Glücks, in der Kleidung einer Krankenschwester und sprach: 1hr Sohn kann jetzt schon allein mit der Bahn fahren, er muß nur die beiden Zauberwörter bitte und danke beherrschen, dann kann er die ganze Welt bereisen."

So kam es auch. Unser Sohn lernte, um Hilfe zu bitten, wenn er sie brauchte, und nahm sein Leben in die eigenen Hände. Die hilfreichen Worte der Krankenschwester blieben für mich immer die Worte einer guten Fee.

(April 1997)

 

 




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